Vom Leben im stillen Tal

Aktualisiert am 09.05.2020

In der Wildschönau, einem beschaulichen Hochtal in den Kitzbüheler Alpen, steht die Zeit still. Tief gedrückt ist die Pausetaste des alltäglichen Lebens, und damit es ja nicht zu früh die Musik bisheriger Zeiten spielen kann, ist sie mit Tesafilm fixiert. Sicher ist sicher. Zum Schutze aller. Und das ist auch gut so.

Von Johann Schönauer auf dem Weg zum Käse

Auf der Hauptstraße, die durch die Kirchdörfer Niederau, Oberau und Auffach führt, ist es ruhig. Einer von wenigen, der sie noch nutzt, ist Johann Schönauer: Der Chef-Käser der Wildschönauer Schönangeralm und muss wöchentlich zur Käsepflege ausrücken. Für ihn ist Käse systemrelevant. „Käse kennt keinen Stillstand. Und kein Corona“, sagt er und nimmt die knappe Stunde Autofahrt von seinem Zuhause bei Kössen bis in den hintersten, aber vielleicht idyllischsten Winkel der Wildschönau gerne in Kauf. An die 300 Laibe Almkäse, Tilsiter und Emmentaler hat er zu wenden und zu bürsten. Sieben Stunden kann die ganze Prozedur dauern. Manchmal hilft ihm sein Neffe. Geredet wird im Käsekeller dennoch nicht. Und nachgedacht? Auch nicht. „Du bist nur beim Käse. Wenn du grübelst, kannst du dich nicht voll in den Käse hineinfühlen. Liebe und Herz, man muss alles geben.“ Nur dann wird der Käse richtig gut. Wie viel Zuneigung in Johann Schönauers Käse steckt, davon zeugen die zahlreichen Goldmedaillen, die er regelmäßig von der Käse-Olympiade in Galtür mitbringt.

Wenn Johann mit dem Käsestreicheln fertig ist, dreht er noch eine Runde mit Bergmann, seinem Hund. Jeden Sommer verbringen sie hier gemeinsam auf der Alm, unterhalb von Lämpersberg und Breiteggspitze. Sie genießen die Abgeschiedenheit der Bergwelt ebenso wie die Besuche von Einheimischen und Touristen, die Käse kaufen und einen Blick in die Schaukäserei werfen. Während Bergmann zwischen den Büschen nach Hundepost schnüffelt, hat Johann doch Zeit für ein paar Gedanken: „In den letzten Jahren hatte ich im Sommer immer Angst, dass mir der Käse nicht reicht. Wie das heuer wohl wird?“ Nichtsdestotrotz freut er sich, wenn im Frühsommer die Almen wieder öffnen, er die Kühe wiedersieht und er sich hoffentlich dann wieder rund um die Uhr um seinen Käse kümmern muss. Vielleicht hat der Stillstand jetzt auch etwas Gutes. „So viel Zeit hatte ich noch nie.“ Denn auch sein Winter-Job als Masseur in einem 4-Sterne-Hotel ruht. Genug Entschleunigung also, um zu erkennen, was vielleicht wirklich zählt, dass man auch mit weniger auskommen kann und, dass es einfach wichtig ist, gesund zu bleiben. Apropos Gesundheit: Johann schwört natürlich auf Käse, einzunehmen morgens und abends. Ab und an darf‘s ein Gläschen Schnaps sein.

Genug zu tun bei der Erzeugung am Prädastenhof

Ein besseres Rezept hat Georg Loinger derzeit auch nicht parat. „Momentan kannst einfach nur Kaffeesud lesen und abwarten.“ Aber eigentlich hat er dafür überhaupt keine Zeit. Er muss die Lebensmittel, die er auf seinem Prädastenhof produziert, ins Tal zum Supermarkt bringen, mit dem er seit gut zwei Jahren kooperiert: Graukäse, Buttermilch, Butter, Eier, Nudeln, Frischmilch, verschiedene Joghurtsorten sowie Kaminwurzn und Speck. „Der Verkauf läuft wirklich richtig gut, die Nachfrage ist groß – trotz Krise, trotz fehlender Touristen. Die Einheimischen sind zuhause und haben Zeit zum Kochen. Viele besinnen sich darauf, regional einzukaufen und gewinnen dadurch wieder ein Gefühl für die Wertigkeit eines Produkts.“ Die Wertschätzung von Naturprodukten war bereits vor Jahren sein Antrieb zur Direktvermarktung. „Unser Hof liegt total ruhig und abgeschieden am Ende des Tals auf 1100 Meter Höhe. Für Ab-Hof-Verkauf ist das eher ungünstig, daher die Kooperation im Tal. Zum Leben aber ist es einfach ein Traum.“ Und zum Urlaub machen. Er hofft, dass er bald seine große Ferienwohnung am Hof, die nahegelegene Almhütte und das Chalet wieder an Gäste vermieten kann. „Wer nach Corona Ruhe und Abstand gewinnen möchte, ist hier wirklich richtig“, verspricht Georg Loinger. Rund um den Prädastenhof ziehen sich zudem viele Wanderwege, auf denen man oft keiner Menschenseele begegnet – höchstens vielleicht sich selbst. Für Georg steht fest: Weitermachen und auch die Chancen in der Krise sehen. „Wenn’s fürs menschliche Umdenken und die Rückbesinnung aufs Wesentliche gereicht, dann ist schon viel gewonnen.“ 

Am Zwecklhof bleibt der Brennkessel derzeit leer

Während Georg Loinger in die Zukunft blickt, schaut Sigi Kistl auf seinem urigen Zwecklhof in den leeren Brennkessel. Eigentlich ist er auf die Herstellung von Edelbränden, Likören und Gin spezialisiert. Es ist sein zweites Standbein neben der Landwirtschaft. Seine Hauptproduktionszeit liegt zwar im Herbst, doch seine beliebten Schnapsverkostungen sind derzeit alle abgesagt, Aber der Alkohol ist ebenso da wie das Rezept der Weltgesundheitsorganisation WHO für Desinfektionsmittel und die Nachfrage und Notwendigkeit steht ganz außer Frage. Also wird Sigi ab sofort die Ärmel hochkrempeln und Zauberwasser gegen Viren zur äußeren Desinfektion herstellen. Zur inneren Reinigung dagegen empfiehlt sich eine Marille oder Vogelbeere, oder gleich ein „SiGin“ aus der Wildschönau.


Kontaktdaten Schönangeralm:
Auffach, A-6313 Wildschönau, Tel.: +43 5339 8526, www.schoenangeralm.at/schaukaeserei

Kontaktdaten Prädastenhof:
Prädastenweg, A-6313 Wildschönau, Tel.: +43 664 5883950, www.almhuettenurlaub.tirol

Kontaktdaten Edelbrennerei Zwecklhof:
Bembergweg, Oberau 34, A-6311 Wildschönau, Tel.: +43 664 545 6500,
www.zwecklhof.at

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