Radsport: Ausdauer, Genetik und die mentale Komponente

Aktualisiert am 24.09.2018

Dr. Wolfgang Schobersberger ist für alle medizinischen Belange bei der UCI Straßenrad-WM 20018 in Innsbruck-Tirol zuständig. Wie man 7.000 Kilokalorien am Stück verbrennt, verrät er im Gespräch mit presse.tirol.

presse.tirol: Herr Dr. Schobersberger, was ist wichtiger im Straßenradrennsport, Kraft oder Ausdauer?

Schobersberger: Beides. Man muss generell zwischen Sprintertypen und Bergfahrern unterscheiden. Die Zeiten sind vorbei, als es rein darum ging, die Ausdauerleistung über mehrere Stunden aufrecht zu erhalten. Man braucht eine optimale Grundlage in Form von Ausdauertraining. Aber auch die dynamische Muskelkraft für Sprints, kurze Intervalle und Anstiege ist entscheidend.

presse.tirol: Radrennfahrer können bis zu 7.000 Kilokalorien pro Rennen verbrennen. Wie ist so etwas möglich? Zum Vergleich: Ein halbes Kilo Schweinebraten enthält 490 Kalorien.

Schobersberger: So etwas schaffen nur extrem gut trainierte Personen. Der normale Körper schafft es nicht, so einen Umsatz zu haben. Man weiß heute, dass Athleten, die sehr gut auf Ausdauer trainiert sind, durchaus 1.000 Kilokalorien pro Stunde umsetzen können. Aber das muss eben trainiert werden, anders ist es nicht möglich.

presse.tirol: Was muss ein „Normalsterblicher“ tun, um 7.000 Kilokalorien zu verbrennen?

Schobersberger: Ein normaler Hobbyläufer schafft vielleicht 400 bis 500 Kilokalorien pro Stunde. Sie können also ausrechnen, dass er somit 14 Stunden joggend unterwegs wäre, um diesen Wert zu erreichen. Das ist natürlich nur auf dem Reißbrett möglich.

presse.tirol: Der ehemalige Radprofi Miguel Indurain hat acht Liter Lungenkapazität. Also ein Drittel mehr als der der Durchschnittsmensch. Sein Ruhepuls lag bei 28 Schlägen pro Minute. Für Sie ungewöhnliche Werte?

Schobersberger: Der Wert ist nicht ungewöhnlich. Die Herzfrequenz im Ruhezustand ist nichts anderes als das Ergebnis einer langjährigen Teilnahme an Ausdauerwettbewerben. Wer ansonsten 28 Ruhefrequenz hat, ist herzkrank. Das ist das Ergebnis, aber nicht das Ziel des Trainings. Das reine Lungenvolumen, also wie viel kann ich pro Sekunde ausatmen, ist kein guter Parameter. Ansonsten wären die Bläser der Wiener Philharmoniker die besten Ausdauersportler. Das ist aber nicht so. Ein entscheidender Parameter ist die Sauerstoffaufnahme.

presse.tirol: Wie entscheidend ist die Genetik im Spitzensport? Trennt sich die Spreu vom Weizen schon bei der Geburt?

Schobersberger: Das ist ganz schwierig zu beantworten. Es geht immer mehr in die Richtung, verschiedene Genmuster zu analysieren. Ob es den Ausdauertypus gibt oder nicht, das kann man nicht genau sagen. Aber es gibt einen konstitutionellen Anlagetypus, rein von der Physiognomie und auch von der Muskelzusammensetzung und Körpergröße her. Was man im Spitzensport und vor allem im Straßenradrennsport nicht vergessen darf, ist die wichtige Rolle der mentalen Komponente. Wer im Labor die höchste Sauerstoffaufnahme zustande bekommt, ist nicht automatisch der beste Athlet.  

Dr. Wolfgang Schobersberger ist der Direktor des ISAG (Institut für Sport-, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus) und koordiniert das Ärzteteam bei der Straßenrad WM Innsbruck-Tirol 2018. Zuletzt war er der Vorsitzende des medizinischen und wissenschaftlichen Komitees der Olympischen Winterspiele 2018 in Südkorea.

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